125 Jahre Friedhof Radebeul Ost: Ode an das Leben oder Ein Novemberlied

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125 Jahre Friedhof Radebeul Ost: Ode an das Leben oder Ein Novemberlied

Es ist November: der Wind weht buntes Herbstlaub zu Boden, das Wetter wird rauer und dunkler, Mensch und Natur erspüren den ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen. Mancherorts kündete Wolfsgeheul das Herannahen der dunklen Jahreszeit, sodass er dort "Wolfsmond" hieß. Unsere Vorfahren aber nannten ihn auch "Nebelung" oder "Nebelmond" und verwoben darin die charakteristische diesig-feuchtkalte Wetterlage, den Wolkendunst, der die Novembertage grau verschleiert. Kein Wunder, dass dieser Elfte zum Totenmonat auserkoren wurde. Denn wie kein anderer erinnert er mit seinen Bräuchen und Gedenktagen daran, die Verstorbenen zu vergegenwärtigen und ihre Gräber zu schmücken.

Eingeläutet wird der Trauermonat vom Reformationstag. Am 31.10.1517 schickte Martin Luther seine 95 Thesen über Ablasshandel und Buße in die Welt. Ob man nun der tief ins kulturelle Gedächtnis geschriebenen Legende von Hammerschlägen ans Wittenberger Schlosstor folgt, oder der vielmehr wahrscheinlicheren Variante von Briefsendungen an zwei hohe Geistliche - so oder so markiert dieses Datum den Beginn der Reformationsbewegung. Auf Anordnung des Sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. fällt der Gedenktag seit 1667 auf den letzten Oktobertag.

Am ersten Tag des Elften gedenkt die Ekklesia, ursprünglich in einem frohen Fest, aller ihrer Heiligen, d.h. all jenen, die Christus gleich als Märtyrer in den Tod gingen, heiliggesprochen wurden, oder "um deren Heiligkeit niemand weiß als Gott".

Einen Tag später begehen die Katholiken Allerseelen mit dem Erinnern an ihre Verstorbenen, Freibeten aus dem Fegefeuer und Fürbitten für Seelenfrieden. In neuerer Zeit gehen die beiden katholischen Heiligen- und Seelengedenktage fließend ineinander über, der trauernd-sinnierende Aspekt mit dem Schmücken und Segnen von Gräbern steht im Vordergrund.

Am elften des Elften hat der heilige Martin von Tours dank seiner beispielgebenden Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit seinen großen Ehrentag, inklusive Gänsebraten. Es ist zugleich der Tauf- und Namenstag Martin Luthers, daneben läuten die Faschingsanhänger 11.11Uhr die 5. Jahreszeit ein.

Doch nicht zu viel der Feierei, schon folgt traditionell am zweiten Sonntag vor dem 1. Advent der Volkstrauertag, welcher dem sinnstiftenden Gedenken an die Gefallenen beider Weltkriege gewidmet ist.

Nach einer äußerst wechselvollen Geschichte hat sich einzig Sachsen einen Feiertag bewahrt: zwischen Volkstrauer- und Totensonntag liegt der Buß- und Bettag. Ursprünglich wurden damit die Menschen in Notzeiten zu Buße und Bitte aufgerufen. Diese Färbung ging verloren und gab Raum für das Individuum - eigenes Handeln zu hinterfragen und sich Gott wieder mehr hinzuneigen.


Mit dem Totensonntag begeht ebenso die evangelische Kirche seit 1816 einen "Gedenktag aller Verstorbenen". Eine Umformung in "Ewigkeitssonntag" mit tendenzieller Ausrichtung auf Hoffnung und Trost hat sich allerdings auch bei den Protestanten nicht vollzogen, das Bedürfnis nach Trauerzeit und Rückbesinnung ist hier ebenfalls gewichtiger. Die Katholiken feiern an diesem Tag Christkönigssonntag.

Das Eintreffen der Wölfe von Osten her markierte früher den Abschied des Sommers, heute bezeugt es das markante Krächzen von Rabenvögeln. Sie wurden deshalb auch Novembervögel genannt. In Scharen besetzen sie Bäume oder Felder und singen ihr raues Lied. Schwarz ist ihr Federkleid, als Unglückboten gelten sie - Rabeneltern, diebische Elster, Galgenvögel. In germanischer Mythologie sind sie Grenzsegler zwischen hier und dort, zwischen gestern und morgen bringen sie Kunde aus aller Welt und darüber hinaus. Mit dieser darin verflochtenen Todessymbolik nimmt es nicht Wunder, sie auch auf Friedhöfen zu finden.

Neben dem Johannesfriedhof in Zitzschewig gibt es in Radebeul den Kirchhof um die Friedenskirche, wo es 1893 das letzte Begräbnis gab. Mit der reformatorischen Ablehnung einer posthumen Fürbitte wurde die enge Symbiose zwischen Kirche und Begräbnisplatz aufgespalten, sodass in Fürstenhain schon vor 1566 ein Seuchenfriedhof angelegt wurde; mit Erweiterung eines "Neuen Friedhofs" später als "Alter Friedhof" bezeichnet, heute meist nur "Gottesacker Kötzschenbroda" genannt. Vielerorts verlagerten sich so im protestantischen Raum die Bestattungsplätze während des 16. Jahrhunderts vom Kirchhof hin zum abseitigen Friedhof. Denn für Luther war genau dieser Aspekt entscheidend: ein Ort zur ewigen Ruhe für die Verstorbenen bzw. zur ungestörten Besinnung für die Lebenden. Der Aufbau der Bestattungsplätze war noch sehr unterschiedlich. Mancherorts wurden schon geordnete Grabreihen angelegt, mit individuellen Grabsteinen, woanders wurden die Toten dem Mittelalter gleich kreuz und quer begraben.

Im Zusammenhang mit der Errichtung der Lutherkirche entstand 1890 in Serkowitz der heutige Friedhof Radebeul Ost. Zu den berühmtesten Stadtbewohnern, die hier ihren letzten Ruheplatz fanden, gehören neben Angehörigen der Familien May, Bilz oder Ziller, auch Patty Frank oder Architekt Emil Högg, der den Friedhof 1920 baulich erweitert und neu geformt hatte.

Moderne Zeiten haben den Tod tabuisiert, der Umgang mit Verstorbenen wird professionellen Firmen überlassen. Damit wurden auch zahlreiche Bräuche und würdevolle Todesriten zurückgedrängt. Heute vergegenwärtigen wir uns unsere Endlichkeit nur noch an bestimmten Novembertagen. Im Angesicht des Todes öffnet der Nebelung aber zugleich Möglichkeiten zur Besinnung, inneren Reinigung und Vorbereitung auf Weihnachten - der 1. Advent liegt sehr oft im November. Als Vexierbild von Schattengrau und Vergänglichkeit erinnert uns der Monat daher wie kein anderer daran, uns den lichten Wert des Lebens bewusst zu sein.

Maren Gündel, Stadtarchiv

Erschienen in: Amtsblatt Radebeul, November 2015