Elisabeth von Thüringen: Weibliche Selbstbestimmung im Mittelalter
Weibliche Selbstbestimmung im Mittelalter. Erinnerung an die Landgräfin und Heilige Elisabeth von Thüringen
Der nebeltrübe November ist der Monat, der am deutlichsten vom Ende eines Kreislaufes kündet. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche gedenkt ihren Heiligen, den vergangenen Seelen bzw. Verstorbenen. Der Nebelmonat läutet die Zeit der inneren Einkehr ein und bereitet die Menschen vor auf Kerzenschein zum Advent und Vorweihnachtszeit im Dezember. In den November fällt auch der Gedenktag der Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207-1231). Ihre strenggläubige und rigorose Lebenseinstellung sowie selbstlose und karitative Mildtätigkeit erreichten bereits zu ihren Lebzeiten die ausgedehnte Huldigung einer vorbildhaften "neuen Heiligen". Größtenteils waren Frauen im Mittelalter dazu verdammt ein an den Rand gedrängtes Dasein in einer von Männern dominierten Welt zu fristen: unmündig und unfrei. Den aufkommenden Bettel- und Predigerorden - Franziskaner bzw. Dominikaner-, schlossen sich nun scharenweise Laien an, die nach einer neuen, auf Moral und Gerechtigkeit gestützten Lebensführung sowie nach religiöser Orientierung suchten. Frauen, die gleichfalls religiös aktiv sein wollten, aber nicht in Klausur leben, formten die Gemeinschaften der Beginen. Allen gemein war ein strenges apostolisches Ideal von Armut, Demut, Keuschheit und christlicher Nächstenliebe. Die Beginen lebten Beginenhäusern als Frauengemeinschaft zusammen, die weder einem Kloster noch Orden unterstellt war, höchstens unter dessen Protektorat. Sie widmeten ihr Wirken ausschließlich der aktiven Karitas, Askese- und Andachtsübungen. In diesem Verbund waren sie zwar wirtschaftlich ungesichert, aber für mittelalterliche Verhältnisse immerhin unabhängig. Elisabeth, die schon seit ihrer Kindheit in Ungarn eine ausgeprägte Religiosität zeigte, kam früh mit dem Beginentum in Berührung, und stellte auch ihr Leben schließlich ganz in den Dienst dieses radikalen Armuts- und Wohltätigkeitsgedankens. Demnach war sie ganz "Kind ihrer Zeit". Als 4-jährige Königstochter wurde sie als zukünftige Ehefrau des Landgrafensohnes an den Thüringischen Hof gebracht. Das war nicht unüblich, die Verlobten sollten einander bereits früh kennenlernen, miteinander aufwachsen und so den Weg für eine harmonische Ehe erleichtern. Die besonderen Charaktereigenschaften, welche die erwachsene Elisabeth auszeichnen und zu solch einer Ausnahmefrau des Mittelalters machen, zeigten sich bereits in ihrer Kindheit: die unbeugsame Stärke ihren Prinzipien nachzugehen, sowie der Mut, ihr Anderssein weder aufzuweichen oder gar abzulegen, als es an die eigene Substanz ging. Aber auch ihr spielerischer Eigensinn so manches Verbot zu umgehen, um sich selbst treu bleiben zu können. Pompöse höfische Vergnügungen waren ihr zeitig schon ebenso zuwider wie luxuriöser Schmuck, Kleidung oder Prunk. Lieber widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Gebet oder der Hilfe für Arme und Bedürftige. Diese nachdrückliche Ablehnung der selbstverständlichen Lebenswelt ihres Standes war gelebte Hofkritik, womit sie freilich überall aneckte und Missbilligung erntete. Doch sie lachte sie weg und trat für ihren Standpunkt ein. Ermutigung erhielt sie dabei zu seinen Lebzeiten von ihrem Ehemann, Landgraf Ludwig von Thüringen, und ihrem Beichtvater, dem Kreuzzugsprediger Konrad von Marburg. Viel ist über diese streitbare Figur in Elisabeths Leben geschrieben worden. Die Etiketten reichen vom kompromisslosen Beichtvater, der ihr vollkommene Unterwerfung abverlangte und nicht vor Gewaltausbrüchen Halt machte, oder der als dogmatischer Inquisitor dafür sorgte, dass hunderte Menschen auf dem Scheiterhaufen ein qualvolles Ende fanden. Andererseits trat er als Anwalt zugunsten Elisabeths Witwenerbes auf und trieb das Verfahren zur Heiligsprechung nach ihrem Tod voran. Neben dem Gatten, der früh starb, wurde dieser Priester die einzige feste Größe im materiellen Leben Elisabeths. Eben jene starke Einflussnahme ließ die gegenseitigen Spannungen bei Hofe eskalieren, Elisabeth verließ die Wartburg und fristete den kommenden Winter unter ärmlichsten Bedingungen. Das dank Konrads Vermittlung erhaltene Witwengeld diente ihr schließlich als Vermögen zur Gründung eines Hospitals in Marburg, wo sie ohne Berührungsängste bis zu ihrem Tod als einfache Schwester schwere Arbeiten verrichtete und bei der Heilung von Kranken gezielt die schlimmsten Fälle von Aussatz oder Verkrüppelung anging bzw. vor allem Kindern Pflege und Trost spendete. 785 Jahre sind seit ihrem Tod am 17.11.1231 vergangen, und noch immer wird ihrer mit Bewunderung erinnert, - nicht nur am 19. November, dem jährlichen evangelischen Gedenktag und Tag ihres Begräbnisses. Jede Epoche formte dabei ihr eigenes Bild der Elisabeth. Ob nun "neue Heilige", liebende Ehefrau, oder vertriebene Witwe, ob nun Hospitalschwester, kritische Rebellin oder mildtätige Landgräfin - in erster Linie war sie eine Frau. Eine Frau, die sich einen rigorosen und intensiven Lebensweg selbst wählte, in einer Welt, in der weibliche Selbstbestimmung weder gewohnt noch gewollt war. Ist es auch nach 785 Jahren noch nicht.
Maren Gündel, Stadtarchiv